 
				
			Wunschgedicht
					Ich wünsche mir die Uhren ohne Zeiger,
					die Sekunden als Stunden
					und die Nächte mit Sternen.
					Ich wünsche mir die schnellen Tage
					ohne das hastige Abendläuten der Dome
					und den Morgen ohne Abschied und Fahrpläne.
					Ich wünsche mir den Rabbi lächelnd und
					die Steine gelegt von warmen Händen,
					lange gedreht und gehalten, rund und
					glatt, neue Geschichten erzählend.
					Wenn nicht jetzt, wann dann?
					Soll sein, was ist oder bau ich
					die Schlösser blauer als blau?
				
					Ich wünsche mir singende Vögel
					im schläfrigen Morgengrauen und
					kühle Laken in der Mittagshitze.
					Ich wünsche mir hundert Eiswürfel in meinem Glas,
					saftige Limonenscheiben auf deinem Bauch
					und die Sonne aller glücklichen Sommer.
					Die Lehrer des Sozialismus tanzen im Schloßhof.
					Karl, Rosa und Genossin Namenlos lachen wieder,
					kein Plan und kein Soll. Niemand siegt
					und kein Gedanke an morgen und später.
					Früher und letzte Weihnachten im Sommer
					als wir alle Oh du fröhliche sangen und
					Tochter Zion nicht vorbeikam, weil die
					Heiligen Drei Könige Sturm klingelten
					und um Schokolade und Geld für die Armen
					bettelten lauthals und einer war schwarz,
					ein Flüchtling, aufgenommen und angemalt.
					Den haben sie nicht totgeschlagen,
					weil sie seinen Namen kannten,
					weil er schön und laut sang,
					gebenedeit seist du Maria.
					So war er einer der ihren.
					Ein schwarzer weißer Muslim.
				
					Ich wünsche mir eine langsame Zeit.
					Eine Zeit, in der ich die Sekunden zähle,
					den Regen trinke und die Augen offen bleiben.
					Die Sprache des Betrugs habe ich verlernt,
					ich setze Buchstabe an Buchstabe.
					Ich öffne meinen Mund. Ich verstehe
					A dank. A dank! Ich bin Zuhause,
					aber nicht in der Gass und nicht
					Daheim. Ich esse keinen gefillten Fisch.
					Ich schweige und lache und schreibe
					mich auf, ohne Punkt und Komma.
					Viele Blätter in alten Koffern versteckt.
					Viele Hefte in neuen Kisten verräumt.
					Menachem verschreibt sich nie mehr.
				
					Ich wünsche mir keinen,
					der zweihundert Brezeln mir
					abkauft und mich mit einem leeren Korb
					sitzen läßt, ohne Wörter. Ich
					wünsche mir einen, der mit
					seinen Schritten, die Landschaften abmißt.
					Die von gestern, die ich kenne,
					die von morgen, in denen ich lebe.
				
					Ich wünsche mir, daß die Grimmigen lächeln
					und die immer Freundlichen Schimpfwörter lernen.
					Ich wünsche mir einen kleinen Bruder
					und eine große Schwester, die beide
					an einem Ort wohnen. Zuhause
					und Daheim, in ihrer Straße. Und
					die Nachbarn grüßen. Ohne Ausnahme
					und jeden Tag. Ohne Nachrede und Übelwollen.
					Ich wünsche mir eine Reise nach Haifa
					und einen Garten in der Wüste,
					einen Orangenhain und einen blühenden
					Pflaumenbaum, beide an einem Ort wachsend.
					Ich wünsche mir keine alten Männer,
					die mir befehlen und keine alten Frauen,
					die mein Leben, meine Zeichen bössagen.
				
					Ich wünsche mir die Lügen und Märchen
					aller Lügnerinnen und Daheimgebliebenen
					und daß ich mich nicht herausrede
					aus den Wahrheiten, die ich nicht kenne.
					Daß ich meine Worte bedenke und lächle.
				
					Ich wünsche mir den Piazolla rückwärts und
					Ernst Busch laut singend in meinem Schloßhof,
					daß keiner mehr lacht und alle feiern.
					Brecht ein Brot und streut Salz.
					Was nehme ich mich groß und was
					sagt wer über wen. Wünsche ich mir Gutreden.
					Ich wünsche mir das Blaue vom Himmel herunter.
				
					Ich wünsche mir die Häuser ohne Mieten,
					die Zinsen auf Null und das Ende
					der Betrügereien. Genug Geld, aber
					wieviel ist genug und genügsam und reichlich
					gemessen bemessen an wieviel Geld
					im Besitz der Banker und Händler.
					Die Bosse schieben mir lächelnd
					Kleingeld zu. Großzügig sind sie
					nie ohne schlechte Absichten.
					Ich wünsche mir die Bahnhöfe
					ohne Züge und mich ohne Koffer.
					Mein Leben als Hochzeit in der Zeit.
					Ohne Erbe und Eltern, mit Eltern
					und den alten Geschichten. Erzählt!
				
					Die Ewigkeit muß ich nicht erleben,
					meine Zeit feiere ich tanzend um den leeren Tisch.
					Dreimal läuten die Glocken den Abend ein,
					dreimal gehe ich ums Haus, erkenne
					mich nicht wieder und verschließe die Tür.
					Der Schlüssel paßt, mein Blick nicht.
					Der Sommer ist alt, mein Wortbruch kein Text.
					Ich breche mir das Wort
					entzwei, also halte ich es niemals?
				
					Ich wünsche mir deinen Traum und
					daß ich ihn lebte ohne zu träumen
					und aufzuwachen. Ich singe
					laut in deinem dunklen Keller.
				
					Ich wünsche mir Schlittschuhe fliegend
					übers Eis, daß mein Tag kommt,
					vertraut ist die Fremde und
					ich bin zu Hause. Die Fische sprechen
					und die Vögel jagen die Katze.
					Ich wünsche mir meine Zeit
					und keinen Preis für die Worte.
				
					Ich wünsche mir den Sommer und keinen Tag
					im März. Limonen und Hitze, keine alten
					Geschichten und keinen ersten Kuß
					geküßt. Ich wünsche mir die Heimat
					in der Fremde und die Prinzessin und
					den schwarzen König in meinem Bett.
					Ich wünsche mir die Callas laut singend
					in den siebten Hinterhöfen und die
					Erinnerung an das blaue Meer
					in der Bucht von St. Pabu.
					Ich wünsche mich nicht neben mir.
				
Erstveröffentlichung in Der Tisch Nr. 1, herausgegeben von Ulrike Budde, München 2005
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