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Vita
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Rezensionen
Hier finden Sie eine Auswahl an Rezensionen zu den Werken von J. Monika Walther. Durch einen Klick auf den Titel öffnen und schließen sich die Texte.
Aida, die Spielerin
Dreizehn hintergründig eigenartige Geschichten mit faszinierenden befremdlichen Pointen: listenreich entledigt sich eine Katze der ungeliebten Besucherin ihrer Herrin. In der Titelgeschichte reist Aida, der "nichts förderliches in den Weg gelegt" wurde, mit 2 Plastiktüten durch Deutschland; Robert, der Tüchtige, verwandelt das kaum reperaturbedürftige Haus in eine schwimmende Arche Noah. Ganz normale Menschen mit ganz normalen Träumen verlieren scheinbar dem Boden unter den Füßen und gewinnen neue Erfahrungen, einen neuen Zugang zum eigegen Ich. Die Autorin (9/81, 81; 8/82, 17) schreibt durchsichtige, klare Sätze, in denen skurile Merkwürdigkeiten irritierend glaubhaft werden. Für (auch jugendliche) Anhänger von Joan Aiken (BA 6/83) empfehlenswert.
Almuth Hochmüller
Zwölf kleine, phantastische Geschichten erzählen von merkwürdigen Menschen in teils abstrakten Räumen und Situationen und von einer Katze. Da ist Aida, die Spielerin, die immer gewinnt, ein ehemaliges Luxushotel zu ihrer Heimat macht und davon träumt, reich zu werden. Da ist Leona, die ihre Mutter bewusst in den Wahnsinn treibt, indem sie die merkwürdigsten Dinge anstellt. Da ist der Mensch Alexander, der von menschenfressenden Riesen im Käfig gehalten wird, bis er verspeist werden soll. Da sind die Erlebnisse von Klaus Wrozek, einem Juden, der nach dem Kriege nach Deutschland zurückkehrt, um nach seinen Eltern zu forschen. Oder da ist Elsa Goeder, die Computerspezialistin, die spurlos verschwindet, durch ihren Computer aber mit Menschen redet.
Die Geschichten sind lebendig geschrieben. Lösungen werden selten angeboten, vieles bleibt offen, zum Nachdenken, Geeignet für Jungen und Mädchen ab 14 Jahren.
Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur und Medien
Die neuen Kriege
Nach den ausführlich begleiteten Feiern zum 60-jährigen Weltkriegsende richtete das deutsche Kulturradio wieder den Blick nach vorn und befasste sich in mehreren Features mit aktuellen Kriegen und den Machttechniken zu ihrer Durchsetzung.
J. Monika Walther bemühte sich um eine theoretische Einordnung der sogenannten neuen Kriege. Unterstützt wurde sie dabei von Ulrike Kleemeier, Autorin der "Grundfragen einer philosophischen Theorie des Krieges".
Zwei paradoxe Phänomene geraten bei ihrer Analyse in den Blick: die Entpolitisierung und Entmilitarisierung des Krieges. Der Terrorkrieg braucht weder Politik noch Diplomatie noch staatlich legitimierte Kampfverbände. Selbst westliche Demokratien überlassen die Drecksarbeit gerne privaten "Sicherheitsfirmen".
Der Söldner, der Kindersoldat, der Warlord und der global vernetzte Terrorist sind für den politologen Herfried Münkler die Chiffren gegenwärtiger Kriege. Abgrenzungen zum Banditentum werden immer schwieriger, eine Bekämpfung nach militärischen Regeln scheint ebenso wenig erfolgversprechend wie eine Befriedung durch einen interkulturellen Dialog.
Die wachsende Vernunft im Handeln der Staaten, so die These des am 17. Mai vom Deutschlandfunk (DLF) ausgestrahlten Features, wird vom globalisierten Austausch von Waffen, Gütern und Menschenrechten abgelöst.
Auch letztere werden politisch verfügbar und bekommen Warencharakter. Die "Tagesschau"-Erkennungsmelodie, die J. Monika Walters Feature gliederte, suggerierte Aktualitätsdruck und wurde beim Hören im Verlauf des Stücks immer mehr zur Kriegsfanfare.
Ein Feature als Vorkriegsberichterstattung – von großer Materialdichte und hoher analytischer Qualität.
aus dem Programmheft des DLF
Eurydike und der Mythos des Orpheus
Alle klassischen Versionen des Orpheus-Mythos enthalten eine doppelte Tragik. Die Rückkehr Eurydikes aus dem Hades scheitert und der Versuch von Orpheus ein neues Leben anzufangen nimmt ein böses Ende. Monika Walther geht den vielen Facetten des Mythos von Orpheus und Eurydike nach. Sie fragt jedoch vor allem danach, wie Schriftsteller der Moderne die alte Geschichte verstehen. Damit verknüpft ist die Frage: wie entsteht Kunst? Bedarf es einer Muse, einer Frau, die geopfert werden muss, damit Rilke und Benn, Breton und Pound schöner singen können? Und wie verstehen moderne Autorinnen die mythische Geschichte? Lassen sie Eurydike im Hades ein wunschloses Unglück erfahren, oder erfinden sie ein verändertes Schicksal für sie?
SWR Programmbeilage
Fluchtlinien
Sie zeichnen das Gesicht unseres Kontinents: Fluchtlinien. Unfreiwillige Reisen, planlos, ziellos. Sie dauern von 1933 bis in die Zukunft. Die Reisen ergeben eine Geschichte deutscher Emigrationen. Prag, Lissabon, Casablanca, Würzburg, Paris, Oradour oder Port Bou sind ihre Stationen. Es heißt, dass ein Mensch, in die Enge getrieben, sein wahres Gesicht zeigt oder seine wahren Lügen – Alle Reisenden stehen in Lohn und Brot und zeigen ihr wahres und unwahres Gesicht während der erdachten und tatsächlichen Reisen. Ihre Fremdheit in der Welt, in der sie gezwungen sind, sich zu bewegen, reproduziert sich als Fremdheit in der eigenen Sprache und ihrer Spielregeln. Sie beginnen Sätze, beenden sie und erleben, wie die Worte ihren Sinn verloren haben. Sie sprechen gebrochen, die eigene wie die fremden Sprachen. Sie intonieren Fragen, als wären sie Antworten. Oder umgekehrt.
"Fluchtlinien" ist ein Prozess akustischer Metamorphosen, der in seinem Verlauf Historisches und Fiktionales zu einer semantischen und musikalischen Fluchtlinie verdichtet.
Alternative Weiterführung: Zu erarbeiten ist ein Prozess akustischer Metamorphosen und Verwandlungen und eine Reflexion dieses Prozesses, so dass akustisch eine reale und synthetische, semantische und musikalische Fluchtlinie entsteht.
Die Chronistin, eine vierzigjährige Frau. Ein unerkannt abgestürzter Flieger zwanzig Jahre, aus dem früheren Mitteldeutschland. Till Riemenscheider, um die dreißig Jahre, aus Würzburg. Margarete Weiss, um die dreißig Jahre, in der DDR aufgewachsen. Jakob Merin, fünfundvierzig Jahre, Seemann und Berliner. Franza, fünfundvierzig Jahre, aus Graz und ehemals Nebendarstellerin. Eduard Cummings ist von sehr hohem alter, spricht mehrere Sprachen, ehemals Sanitätsoffizier.
Infotext zum Hörspiel
Goldbroiler oder die Beschreibung einer Schlacht
Vorab gesagt, wer - angelockt vom schmackhaften Titel - das letzte große Broilerfressen vor dem Ausverkauf der DDR-Goldbroilerstuben erwartet, der wird enttäuscht sein und vielleicht dann, wenn er lange genug in der Geschichte bleibt, doch auch nicht.
Das goldige Vögelchen ist in diesem Buch nicht viel mehr als ein Synonym.
Nur wenig an der DDR war so schmackhaft wie dies und vielleicht gerade deswegen musste es Anfang der 90er erst einmal verschwinden. Und ums Verschwinden des Alten, Abgewirtschafteten geht es in diesem Buch (unter anderem!). Das teilt uns die Autorin J. M. Walther schon auf der ersten Seite ihrer KriminalGeschichte mit: "Die Schonzeit im Ex-Land DDR ist vorbei."
Mit diesem Satz eröffnet sich der Leserin eine Tür in (noch gar nicht so lang) vergangene Zeiten. Schon hier nimmt die Autorin die erste Hürde, wenn es ihr gelingt, der Leserin in die nicht immer liebsamen Erinnerungen hinein zu helfen. Hinein in eine Geschichte voll Trauer, Korruption mit sehr verstörten und verstörenden Figuren. Zurück in eine Zeit die bewegt war und die bewegte, in der sich aber in der Realität - und in diesem Buch sehr genau aus der Beobachtung gezeichnet - schon absehen ließ, wer den Sprung aus der alten in die neue Gesellschaft schaffen wird und wer nicht.
Lakonisch beschreibt die Autorin die Risse in der Gesellschaft, die sich plötzlich nicht nur in Straßenvierteln und Familien abzeichneten sondern die quer hindurchgingen durch Individuen.
Die Wunden schlugen, an denen manche starben, manche unheilbar erkrankten und die andere zu Betrügern, Dieben oder gar Mördern werden ließen. Dabei ist es egal, ob die Geschichte - wie in diesem Buch - an der Ostseeküste spielt oder in Dessau, Leipzig oder Zittau. Oder - heute sind wir geschichtlich schon ein klüger als noch vor 20 Jahren - in irgendeiner Stadt in irgendeinem anderen der ehemaligen Ostblockstaaten. Aber zurück, diese Geschichte spielt in Warnemünde und nicht zuletzt mit ihren Ortsbeschreibungen gelingt es der Autorin in diesem Roman nah an der Realität zu bleiben.
Mit der Protagonistin, der angehenden Privatdetektivin Ida Waschinsky, gibt uns die Autorin eine Suchende an die Seite. Eine, deren zaghafte, mitunter naive Herangehensweise, deren argloser Umgang mit den Menschen ihres Viertels, mit deren Armut und dem auch eigenen Willen es irgendwie zu schaffen, dieses Unbedingte Dazu-gehören-wollen, das Geschehen für die Leserin ein wenig ertragbarer, aushaltbarer macht. Ein vielleicht von der Autorin nicht gewollter Effekt.
Denn dieses Buch in der Verkleidung einer KriminalGeschichte liest sich wie die Kurzzusammenfassung des Ausverkaufs einer Gesellschaft, in der es schon längst nichts mehr zu kaufen und verkaufen gab. Was man wollte und auch was man nicht wollte, man bekam es geschenkt. Das Lächeln der Nachbarin ebenso wie das Gebrüll des Säufers an der Kaimauer. Oder wie Ida das eine oder andere schmackhafte Essen der aus dem Westen zugezogenen Kneipenbesitzerin. Und eigentlich war es auch fast egal, ob man sich eher zu den Gewinnern oder Verlierern zählte, denn eines verband alle: der Wille dazuzugehören. "Ich will ein Auto, ich will Geld. Ich bin eine Detektivin. Ich habe eine Ausbildung als Detektivin. Ich will Geld." Diese selbst beschwörenden Worte von Ida könnten das Credo dieses Romans sein, wenn da nicht, neben all dem Hetzen und Jagen, neben all der Korruption und dem Verrat, immer wieder diese Sehnsucht nach dem Dazugehören, nach dem anderen, vielleicht besseren Leben herausklingen würde.
Das was da anklingt wie Nebenbei, aus den ob ihrer Realitätsbeschreibung mitunter kaum ertragbaren Seiten dieses Romans, dieses Sehnsüchtige, Lebenssüchtige macht diesen Roman zu dem was er ist: zu einem Dokument der Zeitgeschichte, einem Dokument des Wandels.
Diese Zeitbeschreibung, die in Form einer KriminalGeschichte angeschlurft kommt, ein wenig schmuddelig, wie trunkig - vielleicht sogar betrunken (in diesem Buch wird übrigens herzzereissend gesoffen) - ist gleichzeitig eine Poesie der schmerzenden Sehnsucht, eine Arie des Lebens und des Miteinanders, besungen in der rauen Wendewirklichkeit.
Am Ende war kaum einer mehr zu Erkennen und war im Grunde doch immer noch Selbst.
So wie Ida, die am Ende zugreift, wenn die neuen Scheine wandern und die doch weiß, dass sie nicht zugreifen sollte.
Dieser Roman ist keine leichte Kost sondern eher etwas für experimentierfreudige Lesegourmets.
Ein schweres, ein wundervolles und bewegendes Buch! Unbedingt empfehlenswert.
J. Monika Walther, Goldbroiler oder die Beschreibung einer Schlacht - Eine KriminalGeschichte, Geest-Verlag 2009, ISBN 978-3-86685-208-2, 12 Euro
rezensiert von Sylvia Tornau, Leipzig
Katzenschießen
"Mama, warum bin ich auf der Welt?" Verzweiflung spricht aus dem Satz der elfjährigen Alice. Eine Antwort wird ihr zunächst nicht zuteil, so lange zumindest wie sie nicht selbst eine Antwort zu geben weiß. Denn ihre Mutter, egoistisch und lebensunfähig, kümmert sich nicht um die seelischen Belange ihrer kleinen Tochter, die sie in Zeiten der Einsamkeit als Liebesobjekt missbraucht, ansonsten aber links liegen lässt: "Ich habe vergessen, warum es dich gibt."
Entfremdung und der Wechsel der Identitäten sind die Themen dieses Hörspiels der in Leipzig geborenen Autorin J. Monika Walther. Alice, die dem Hörer sowohl als Mädchen (Dorothea Sell) wie auch als erwachsene Frau (Jutta Hoffmann) begegnet, kennt kein Leben in geordneten Bahnen. Seit sie denken kann, ist sie auf der Flucht. Von ihrer Mutter (Gisela Uhlen) wird sie von einem Ort zum anderen geschleppt. Die Mutter taugt als Fixpunkt für das Mädchen ebensowenig wie die wechselnden Ersatzväter. Einer davon ist ein Karusselbesitzer (Ernst Jacobi), der die Mutter ehelicht, aus Mitleid: "Kommen Sie her, sie Sternträgerin. Ich heirate Sie! Was mein ist, gehört auch Ihnen." Der Rummelplatz als Lebensort vertieft nur die Krisen der kleinen Alice, die Fahrt im Hochzeitswagen wird zum traumatischen Erlebnis. Allgegenwärtig sind die Katzen, wahrgenommen als diabolische Figuren und Menschen fressende Gespenster. Die Angst vor ihnen soll Alice bis ins Erwachsenenalter nicht verlieren.
"Mama, warum bin ich auf der Welt?" Daraus spricht, geäußert im letzten Drittel des Stücks, neben Verzweiflung auch Trotz. Denn der anfänglichen Unterwerfung des Mädchens durch Mutter und Karusselbesitzer, der jungen Frau durch Beruf und soziales Umfeld, setzt Alice zunehmenden Widerstand entgegen. Die entscheidende Rolle spielt dabei der leibliche Vater, den Alice nicht kennt. Der Vater, so heißt es, sei ein Seiltänzer und Katzenfänger gewesen, später ein Trödler, der in Krakau mit blauen Marzipanpferden handelte. Einmal sei er vom Seil gefallen. Richtig ist, wie sich herausstellt, dass er gestoßen wurde. Diesen Vater nun bemüht Alice in kritischen Situationen als Beistand, womit sie das Gelächter ihrer Unterdrücker erntet. Bald aber bewaffnet sie sich mit dem Gewehr ihres Vaters und erschießt ihre Peiniger, zuerst die verhassten Katzen und dann die Menschen. Die Mitbewohnerin Frau Bronski (Beate Hasenau), der Karusselbesitzer und die Mutter werden ihre Opfer. Rafael (Joosten Mindrup), der Alice bedingungslos liebt, darf als einziger überleben.
Nicht zufällig erinnert der Name der Protagonistin an "Alice im Wunderland". J. Monika Walters Figur ergeht es wie ihrer Namensvetterin von Lewis Carroll. Sie begegnet unaufhörlich Wesen, die ihr rätselhaft sind. Das ganze Leben ist ihr zum Rätsel geworden. Anders als Carrolls Alice vermag sich J. Monika Walthers Heldin nicht nach erquickendem Schlaf im Garten zu trollen. Ihre Verunsicherung bleibt. So spricht die kleine Alice mit der großen und offenbart den seelischen Aufruhr der Figur: "Ich bin Alice, wer bist du? Ich bin du, aber wer bin dann ich? Du bist ich, aber wer bin ich dann nicht?"
Das Stück mag autobiographische Züge der Autorin, die mit ihrer Mutter 1959 von der DDR in die Bundesrepublik übersiedelte, tragen. Ohne Zweifel geht es um die Flucht: nicht die einmalige Flucht über eine politische Grenze, nicht die kleinen Fluchten aus dem Alltag, sondern um Flucht als Dasein, als einzig mögliche Reaktion auf das Krisenhafte der Existenz. "Deine Mama flieht immer, kleine Alice", sagt der Karusselbesitzer, "sie flieht immer in eine andere Welt. 1940, 1961, 1990. Aufwärts. Aufwärts. Immer und immer."
Das Stück ist sparsam instrumentiert, vier Sprecher, ein paar Geräusche, ein wenig Musik im Hintergrund, Spieluhren. Auch die Stimmen erscheinen spielerisch im Raum verteilt, mal dicht am Ohr des Hörers, mal weit entfernt, mal aufbrausend laut, oftmals fast unhörbar leise. Es wird einiges verlangt vom Hörer, denn die einander umkreisenden Stimmen fordern konzentrierte Aufmerksamkeit. Vielfach ist vom Fallen die Rede. Für Alice und Rafael bedeutet der Sturz in den Kaninchenbau aber nichts weniger als ein neues Leben. "Lass uns weggehen und zurückkommen", sagt Rafael am Ende.
Matthias Schümann, FAZ
Hörgedichte seien aus der Mode gekommen, könnte man meinen. Die Autorin J. Monika Walther ist jedoch seit ihren frühesten literarischen Stücken dem Hörspiel als einem Medium treugeblieben, das Poesie hörbar zu machen vermag. So verwundert es denn auch, nicht, daß ihre Protagonistin hier Alice heißt, eine moderne Allusion auf Lewis Carrolls Figuren und Motive. Im Gegensatz zu dessen Alice, ist das Leben dieser heutigen Alice bestimmt von Sehnsucht, Flucht und Heimweh und gleichzeitig von Heimatlosigkeit. Ängste bestimmen ihr Handeln wie ihre Träume. Handfestes vor dem Hintergrund des vielgepriesenen "Positiven Denkens" ist ihre Sache nicht eher sind es schon Träume von Kutschen, Metaphern des Fortbewegens und Katzen. Ein Chor auf leisen Sohlen, Gut und Böse gleichermaßen kommentierend und damit eine Qualität markierend jenseits der großen Straße, Literatur statt Mainstream.
www.hoerspiele.de
Das weiße Zimmer
Mit "Das weiße Zimmer" stellt der WDR am Sonntag das erste Hörspiel der jungen Autorin J. Monika Walther vor. Regie führte erstmals für den WDR Ursula Langrock.
"Wir hatten es doch geschafft: das Haus, die Kinder, meine Arbeit", so Georg Modendorff ratlos gegen Ende des Hörspiels zu seiner Frau Maria, die vor ihrem Leben geflohen in einem Irrenhaus Zuflucht findet. Dabei fing alles scheinbar harmlos an: die allmähliche Vernachlässigung ihrer hausfraulichen Arbeiten und ihre merkwürdig anmutenden Aufenthalte auf dem Dachboden. Wie das wachsende Schuldgefühl, nicht die richtige Frau für Georg zu sein, werden auch ihre Anstrengungen um Klärung vergangener Dinge, der Tod von Julia, der Schwester ihrer Mutter, von ihrem Mann und Johanna, ihrer Tochter, als tolerierbare aber ärgerliche Veränderungen wahrgenommen. Deren sprachliche Reaktionen erscheinen ebenso stereotyp und aussichtslos wie die Versuche um Nähe und Verständnis. Die Hilflosigkeit der Verwandten führt wie Marias wachsende Orientierungs- und Haltlosigkeit zuletzt zur Flucht in die Annahme einer neuen Identität – hier kurioser- und konsequenterweise die der toten Schwester ihrer Mutter, die ebenso Opfer ihrer Sensibilität, ihres "Andersseins" wurde – und endet an einem leeren, weißen und übersichtlichen Ort, einem renovierten Krankenzimmer einer Irrenanstalt.
Die sprachliche Sensibilität, mit der die Autorin diese eher alltäglich als außergewöhnlich anmutende Geschichte vermittelt, ist bemerkenswert. Die Dialoge, einfach und genau, die reproduzierten Floskeln, die in einer Ausnahmesituation, die Sprach- und Hilflosigkeit aller Betroffenen um so deutlicher zum Ausdruck bringen, sowie die Unsentimentalität der Sprache werden durch die gute Sprecherwahl (besonders durch Liane Hielscher als Maria und Hansjoachim Krietsch als Georg) und die einfühlsame Regiearbeit Ursula Langrocks überzeugend und beklemmend zugleich umgesetzt. Dort wo dem Hörer über eine vordergründige Identifikation mit der Mutterfigur kritische Einblicke in die Scheinkommunikation dieser vom Alltag überrollten (normalen?) Familie ermöglicht werden, liegen die Qualitäten dieses Hörspiels. Die Aufrechterhaltung von Pflichtbewusstsein und Pflichterfüllung, jene totale Funktionalität, die der Sicherung des Erarbeiteten und Erreichten gilt, wird wie der bedingungslose Fleiß, der Voraussetzung für eine materielle Geborgenheit gewesen ist, aus subtile Weise als Ursache für den Verschleiß an Zärtlichkeit, Einfühlungsvermögen und Verständnis entlarvt. Marias letzter Versuch sich zu orientieren, der Besuch bei ihrer Mutter, verdeutlicht dies besonders gut.
Auf dem elterlichen Bauernhof spürt sie beim "Empfang" durch ihren Bruder Karl das gleiche Unverständnis und die Anfänge jener tiefen Verachtung, mit der ihre Mutter Julia nach deren gescheiterter Flucht in die Stadt – aus "Sehnsucht nach einem anderen Leben" – begegnete. Die Bilder wiederholen sich. Das Gespräch mit der Mutter, die immer nur gerackert hat, um Anerkennung zu finden, zeigt die eingeschliffenen Sanktionsmechanismen, zeigt auch, wie wenig Platz für Individualität und Glücksempfinden übrig blieb. Julia, ausschließlich nach ihrem Arbeitspensum und ihren Männerbekanntschaften be- und verurteilt, wird bereits für das Kind Maria zum heimlichen Vorbild. Ihr mysteriöser Tod in einer Irrenanstalt wird durch die neuere Version ("wegen einer politischen Sache") der Mutter für Maria nicht einsichtiger und entschuldbar, sondern nach Jahrzehnten Auslöser zum Widerstand gegen ein vorgestanztes Leben.
Übrig bleibt eine innere Zerrissenheit, die Bejahung und Verurteilung ihres eigenen Handelns. Sie findet den Ort, wo sie eine Andere sein darf, wenn auch nur mit Medikamenten. Wie bereits erwähnt überzeugt Ursula Langrocks Inszenierung besonders dann, wenn es um sprachliche Differenzierung und Nuancen in den Dialogen ankommt. Dass sie dennoch auf eine illustrative Geräuschkulisse nicht verzichtet, verwundert etwas. Zwar wirken Taubengegurr und Traktorengeräusche nicht gerade entnervend, jedoch wäre ohne diese Untermalungsakustik die gehaltvolle Dialogsprache nicht wirkungsloser geworden. Sie bestätigt unnötigerweise Örtlichkeiten, die textliche eindeutig sind. Das Hörspiel hätte diese Hilfsatmosphäre nicht nötig.
Hans-Peter Beyenburg
Schafszorn
Als Ikarus noch ein kleiner Junge war und auf den Namen Hans hörte, beschloss er eines Tages, wie ein Engel fliegen zu können.
Als Adolf noch Adi war und von seiner Mutter in Matrosenblusen gesteckt wurde, beschloss er, dass eines Tages ihm alle gehorchen würden. Erst Deutschland und dann die ganze Welt.
Als der Schafscherer noch Student war, war er klüger als alle um ihn herum. Er ging ins Ausland, wurde Soldat und Söldner und schnit Kehlen durch.
Jetzt treten alle im Fernsehen auf. "Entertainment light Gmbh" hat sie engagiert, und da ein fliegender Engel in einer Live-Show noch nicht genügend Quote bringt, muss noch mit mehr aufgewartet werden.
Fantasie und Realität, Mythos und Politik gehen in J. Monika Walthers neuem Hörspiel eine unauflösliche Verbindung ein, werden zum Amalgam von Leben und Live-Show. Die Schafe sind Metaphern. Sie schweigen. Sie schweigen vor Zorn.
J. Monika Walter, geboren in Leipzig, lebt seit vielen Jahren im Münsterland und in Holland. Mit zahlreichen Hörspielen und Erzählungen gehört sie zu den bekanntesten Radioautorinnen und führt gelegentlich auch selbst Regie. Der WDR brachte zuletzt ihre Bearbeitung von Allessandro Manzonis "Die Verlobten".
In der Traumwäscherei ist Arbeit
Am besten erschließen sich diese Gedichte der 1945 geborenen Autorin aus der biographischen Skizze "Der siebte Kontinent" im Anhang: ihre ganz und gar als brüchig erfahrene Identität erweist sich als Schlüssel zu dieser vielschichtig angelegten und leidenschaftlich suchenden Lyrik. Motive von Herkunft und Kindheit, prägende Erfahrungen von Nachkriegszeit verbinden sich zu Sprachlandschaften, die Märchenhaftes und Surreales ebenso selbstverständlich benutzen wie das Reale, um individuelle Standorte, Befindlichkeiten und Ansprüche zu formulieren: "Und was aus mir noch alles werden kann": ein Leben zwischen "berechtigten Hoffnungen" und den "Hoffnungen der Berechtigten", das möglich sein muss jenseits der Gewissheit, nirgends dazuzugehören. Für den ausgebauten Bestand.
Die Traurigkeit nach dem Singen
Jetzt, da die beiden Deutschlands sich mehr oder weniger beherzt anschicken, einen Bund für die Zukunft zu schließen, stellen im westlichen Teil viele Menschen fest, dass sie sehr wenig wissen über das reale Leben zu Beginn der DDR-Gründung. Dieses Unwissen bezieht sich auf die Jahre des Übergangs vom NS-Staat zum Spaltprodukt DDR. Besonders groß und beunruhigend ist dieses Nichtwissen bei allen, die keine Verwandten in der DDR haben und bei allen, die nach der Teilung aufgewachsen sind.
J. Monika Walthers Roman ermöglicht durch seine wohltuend knappe und genaue Auffächerung des Lebensschicksals einer jungen Frau, die unter Hitler in Jena aufwächst, exemplarische Einblicke in jene Zeit, die jetzt schlagartig wieder gegenwärtig geworden ist. Ihrem Bruder zuliebe muss Viktoria Hoffmann auf die ihr angemessene Ausbildung verzichten. Im kleinbürgerlichen sozialdemokratischen Elternhaus mit seinem preußischen Tugendkodex unternimmt sie bescheidene aber stetige Flugversuche in Richtung einer größeren individuellen Freiheit, die fast beiläufig politische Bereiche (NSDAP/SED) streift.
Viktoria Hoffmanns Weg aus dem Dritten Reich in die junge, bereits im Innern nach "Linseneintopf" riechende, sich kompromittierende DDR veranschaulicht die ostdeutsche Variante der "Stunde Null", des Umbruchs, der Ratlosigkeit am Scheideweg von einer Epoche in die nächste: "heutzutage, wo niemand weiß, wie es weiter geht", sagt Viktorias Mutter, die zu Beginn dieser neuen Zeit entkräftet aufgibt und stirbt. Was geht in der unbedeutenden Heldin vor? Wie sieht sie aus der Perspektive des verängstigten Arbeitermilieus heraus die Welt der Nazis und dann des jungen SED-Staates? Zunächst steigt sie scheinbar auf durch die Heirat mit dem verklemmten, sich politisch andienernden Wehrmachtspsychologen Dr. Leuteritz, dessen Familie die unangenehme Nazi-Mitläuferschaft repräsentiert, die sich nach Zusammenbruch schnell in den Westen absetzt.
Im Krieg zieht Viktoria zunächst nach Düsseldorf, wo ihr Mann eine sinnlose Stelle auszufüllen sucht. Er kommt endlich an die ersehnte Front: sie wird ausgebombt, kehrt zurück nach Jena und kämpft sich durch den bürokratischen Dschungel der Entschädigungsprozedur. Jena wird zerbombt: das eine Chaos wird von dem neuen abgelöst, Treibgut wird an Land gespült – der Freund kommt aus dem KZ zurück, ein KZ-Scherge aus der Verwandtschaft taucht albtraumhaft auf, der fremde Ehemann kehrt schließlich zurück. Die große Politik wird formierend und deformierend auf den Alltag, auf die Träume einer Frau, die glücklich sein möchte und die für alle jene steht, die jetzt in der DDR ins Rentenalter kommen und der neuen Zeit eher verwirrt entgegenharren. Jetzt ist die Zeit reif für diesen Roman, der vor neun Jahren erschien und durch seine hohe Qualität besticht.
H.-J. M.
Jeder kennt diese Sehnsucht: nach dem "besonderen" Leben, nach einem Ich, dem großartige Abenteuer gelingen und unvergleichliche Genüsse möglich sind. Als weitgereisten Individualisten, als Seehelden, als vielgeliebte Schöne sah man sich in der Kindheit. Im Laufe der Jahre verändern sich die Figuren und Konnotationen unserer Phantasien: man träumt sich einen Erfolgreichen Beruf zusammen, eine gelungene Ehe, ein Haus im Grünen
Verlorene Träume
Jeder kennt diese Sehnsucht: nach dem "besonderen" Leben, nach einem Ich, dem großartige Abenteuer gelingen und unvergleichliche Genüsse möglich sind. Als weitgereisten Individualisten, als Seehelden, als vielgeliebte Schöne sah man sich in der Kindheit. Im Laufe der Jahre verändern sich die Figuren und Konnotationen unserer Phantasien: man träumt sich einen Erfolgreichen Beruf zusammen, eine gelungene Ehe, ein Haus im Grünen, fern von der Stadt. Was aber geschieht mit uns und unseren Träumen, wenn nicht einmal diese durchaus legitimen, unanstößigen Wünsche erfüllt werden können? Was geschieht mit den Träumen, die verloren gingen?
J. Monika Walther versucht in ihrem Geschichtenband "Verlorene Träume" den Zustand des "Danach" zu beschreiben. Das Leben, gereinigt von allen Bedeutungen: das nackte Leben ohne Hoffnung und Schönfärberei. Es sind Ehedramen, "Geschichten nach dem Hochzeitslied", die in den Trümmern der zerschlagenen Utopien, der ausgehöhlten Gefühle spielen. Man ist verbunden nur noch durch das Unglück der Banalität, unterworfen dem sich selbst regulierenden System der Alltäglichkeit.
Hier gibt es kein Wohnen mehr, sondern nur noch Räume, in denen man sich "aufhält": keine Gespräche, sondern den gequälten Austausch von Kürzeln. Man lebt sich aus im Kompromiss. Was wie Treue und Zusammenhalt aussieht, ist widerstandsloses Gleiten durch die Jahre, Jahrzehnte: "Klara ging mit ihm ins Wohnzimmer und sah fern. Er blieb nie gern allein und brauchte sie um sich. Sie hatte, als sie hereinkam, ihren Sessel hinter den von Gabriel geschoben, damit sie, ohne dass Gabriel es merkte, nachdenken konnte."
J. Monika Walther hat diese Landschaft der ausgewischten Wünsche mit einigen Hinweisen versehen. Ihre Personen, "verbeamtet" zwischen Familientreffen und zweitem Bildungsweg, erinnern an unförmige Freaks. Allerdings ist ihre Schreckensgestalt nicht außen sichtbar, sondern schlägt nach innen und entlädt sich irgendwann auf katastrophale Weise, in Mord oder Verkehrsunfall.
Anders als viele schreibende Frauen, die sich in Tagebüchern, Briefen oder anderen Formen der Selbstdarstellung äußern, hat J. Monika Walther eine protokollarische Beziehung zu ihren Geschichten. Sie bleibt, so scheint es, selbst ausgeschlossen aus der Szenerie, die sie entwirft. Das Interesse an ihren Personen könnte man als wissenschaftlich bezeichnen: voller Besessenheit für das Detail konstruiert sie "Wirklichkeiten", die aus belegbaren und stimmigen Beobachtungen gemacht sind. Aber aus mehr auch nicht. Das vergessene, unentdeckte, verbotene Leben ihrer Figuren wird von der Autorin ebenso ausgeblendet wie diese selber es tun. Insofern teilt sie die Ideologie ihrer kranken Geschöpfe, die heißt: die Welt ist alles, was der Fall ist.
Manchmal gelingt in den Geschichten auch der Aufstand. Eine Frau macht sich mit ihren Kindern auf Nimmerwiedersehen fort in den Süden; eine andere klaut sich das Sparbuch ihres Mannes und lässt ihn schließlich im Krankenbett vergammeln. Aber wir erfahren nicht, wie sich der Ausbruch aus diesem Gefängnis vorbereitet; wie die Büroangestellten, Bausparer und häkelnden Ehefrauen dieses Buches doch immer wieder zu einem Wendepunkt gelangen, von dem aus sich alles ändert. Die Oberflächen verraten wenig, weil ihre Beschreibung keinen Hintergrund hat; keinen offenen Raum, der auf ein Mehr der Möglichkeiten, der auf Bewegungen weist.
Die Realität "wie sie ist": das ist ein Fetisch. Denn auch im Zustand unserer "Verlorenen Träume" ist unsere Wirklichkeit nicht nur im Alltag angesiedelt, in der sozialen Welt, sondern reicht zurück in eine Mannigfaltigkeit vergessener Eindrücke und Bilder, an denen wir genauso teilhaben wie an den sichtbaren und selbstverständlichen Einrichtungen unseres gegenwärtigen Lebens.
Gisela von Wysocki
Das Gewicht der Seele
Es gibt sie alle, und doch sind sie auch erfunden. Die vielen verschiedenen Charaktere der 55 Kurzgeschichten dieses Sammelbandes beanspruchen ihre Existenz gleichermaßen in der Welt der Wirklichkeit und im Reich der literarischen Träume. J. Monika Walther erzählt von Wegmarken, Irrläufen und Fluchtlinien und gestaltet dabei die eigene Identitätssuche zwischen Spuren der lange verschwiegenen jüdischen Familiengeschichte, Erfahrungen eines zwiespältigen deutsch-deutschen Nachkriegslebens und den Veränderungen einer komplexen Gegenwart.
Die Autorin mit jüdisch-protestantischer Herkunft, geboren 1945, aufgewachsen in Leipzig und Berlin, lebt seit 1966 im Münsterland und immer wieder in den Niederlanden. Seit 1976 arbeitet sie als freie Schriftstellerin, erhielt für Hörspiele, Gedichte und Kurzprosa zahlreiche Auszeichnungen und Stipendien.
»Das Gewicht der Seele« versammelt Erzählungen aus drei Jahrzehnten: wunderbare kleine Fantasiestücke, die eine eigene Welt bilden.
Jochen Grywatsch
Irgendwas ist immer: zu erkennen, zu durchdringen, zu bewältigen. Dieses Axiom zieht sich durch den 400 Seiten starken Erzählband von J. Monika Walter. Verstörend und skurril-real sind die gezeichneten Personen. In den Zwischenraum von Fiktion und Realität gestellt, wirken sie sowohl real, als auch immer einen Schritt neben dem Möglichen. So zum Beispiel Jean, Antagonist aus der Titelgebenden Erzählung "Das Gewicht der Seele". "Jean war keiner, der ums Leben zweifelte, und keiner, der nur einen einzigen Menschen besitzen wollte. Er verlangte nach mehr und gab sich nicht zu erkennen. Das Verbergen war seine Lust." Jean ist ein Seelensucher. Seine Geliebte, die Tönesammlerin Alice, "die ihn nicht liebte, weil sie Angst hatte, ihn zu verlieren" ließ er nackt auf eine Waage steigen. Er notiert das Gewicht, erwürgt sie dann und wiegt sie erneut. Am Ende der Erzählung notiert er: "Ein lebender Mensch abzüglich zwölf Gramm Seele ergibt einen toten Menschen."
Sammler und Sucher scheinen sie alle, die in diesem Band versammelten Personen. All diese Alices, Marias und Brunos - die Häufung der Namen in diesem Buch wirkt wie eine Beschwörung, wie ein Lebendighalten dessen, was Maria, Alice und Bruno (und all die anderen immer wiederkehrenden Namen) waren oder sein könnten und vielleicht gerade in diesem Augenblick irgendwo sind.
J. Monika Walthers Erzählungen sind Zustandsbeschreibungen des Miteinander-Aneinander-Vorbei Leben und -Träumen, mitunter sogar mit positivem Ausgang. So gelesen in "Sonntags - eine Straße in Deutschland". Da wird der sonntägliche Alltag entlang einer Straße irgendwo in Deutschland beschrieben. So banal wie großartig sind die Geschichten der Menschen, die im "Basalteck" aufeinandertreffen. Die Wirtin Lina, eine seit 30 Jahren in Deutschland lebende Italienerin. "Sie wird geliebt, auch wenn sie an manchen Tagen schreit und ungerecht und barsch ist. Sie erlaubt das Anschreiben vier Wochen lang und bis zu einem Monatslohn, aber das nur bei den Ärmeren, bei den Möbelpackern und Leuten, denen es dreckig geht, die den Überblick über sich und ihr Leben für einen langen Augenblick verloren haben."
Die Melodie der Erzählungen in diesem Band ist eine getragene Melancholie, unterbrochen von der erschreckenden Genauigkeit des Hinsehens und -Spürens, umrahmt und harmonisiert von der gebrochenen, aber zutiefst spürbaren Liebe der Erzählerin zu ihren Figuren, vielleicht sogar zu den Urgründen menschlichen Lebens. Da ist eine, die genau hinsieht. Eine, die die Intrigen des Lebens, geboren aus materiellem Elend und Sinnsuche erkennt und sie punktgenau beschreibt ohne zu werten. Das zu lesen tut mitunter weh, ist aushaltbar nur durch die stille Hinnahme, Annahme. "Ich gehe durch die Wohnung, setze mich auf den Balkon. Von oben höre ich türkische Lieder, leise und vorsichtig gesungen. Unter mir diskutiert der angehende Anwalt mit seiner Freundin und ganz unten sitzen die beiden Archäologen und trinken ein allerletztes Glas. Der Hinterhof ist so groß wie vier Straßenzüge. Es ist ein leises Flüstern, Streiten und Juchzen in der Luft. Vor den Garagen stehen rauchende Männer. Auf den Garagendächern sitzt ein junges Paar. Sie haben vergessen, dass aus vier Himmelsrichtungen die Leute von den Balkonen auf sie herunterschauen."
In diesen Geschichten der 1945 in Leipzig geborenen, aus einer jüdisch-protestantischen Familie stammenden Autorin J. Monika Walther geht es um das Sein, das Sosein, das Anderssein. Es geht um Leben und Lebensentwürfe, um Überleben und um die Entdeckung von Mitmenschlichkeit. Manchmal unerwartet in scheinbar ausweglosen Situationen. Es geht um die vermuteten 12 Gramm Seele, die im Sterben aus unseren Körpern entweichen und die im gelebten Leben schwer wiegen. Ein empfehlenswertes Buch, das zum Weinen, Lachen und zum Weiterdenken anregt. Ein Schwergewicht aus den Weiten der Literaturlandschaft. Ein kostbares Kleinod, eine Zierde der Bücherregale. Nicht nur wegen der Texte, sondern auch wegen der für ein Taschenbuch ungewohnten, dafür aber hochgradig ansprechenden, da mit den Erzählungen korrespondierenden fotografischen Streiflichtern der Fotografin Barbara Dietl. Unbedingt kaufen, lesen und anschauen!
Das Gewicht der Seele - Erzählungen, herausgegeben von Iris Noelle-Hornkamp im Mentis Verlag, 400 Seiten, 29,80 Euro
Sylvia Tornau
Windblüten Maschendraht
„J. Monika Walther schreibt eine sozial engagierte Poesie“, sagt die Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Roters-Ulrich über die jüdisch-protestantische Dichterin, die in Leipzig und Berlin aufwuchs und seit Mitte der Sechziger im Münsterland und den Niederlanden wohnt. Ihr neuer Gedichtband „Windblüten Maschendraht“ ist unlängst in der Edition Haus Nottbeck erschienen, die insbesondere der aktuellen westfälischen Lyrik ein Forum bieten soll und vom Westfälischen Literaturmuseum betreut wird. Seit den Siebzigern schreibt und veröffentlicht Walther sowohl Lyrik als auch Prosa neben über achtzig Hörspielen, für die sie mehrfach ausgezeichnet wurde, und immer wieder ist dabei ihr Kernthema die deutsch-deutsche Geschichte, der Holocaust und die Spuren der Historie, die sich allerorten manifestieren.
Es ist eine Lyrik, der das Erinnern immanent ist, das Aufspüren dessen was war und der Narben von Wunden, die gerade erst verheilt sind oder nie richtig verheilen werden. Das Augenscheinliche ist ein Idyll unter dessen dünner, fragiler Oberfläche das Verderben lauert, das sich tief in die Seele frisst. Die Kriegsbilder sind stets präsent wie eine schimmernde Zeitfolie die sich über eine Landschaft legt, in der der Regen längst alles Blut weggewaschen hat: „Die Soldaten senken / ihre Arme. Die Nelken sind rot“ heißt es in „Himmelsleiter“, während das stakkatohafte, bedrängende Gedicht „Himmelfahrtstransport“ den ganzen Irrsinn des Hitlerkrieges in knappen Versen durchexerziert, von denen jeder einem Schuss gleicht, der nie verhallen wird.
Immer wieder ist es ein Nebel, ein Schleier, ein sanfter Wind oder Lichtschein, der ins Jetzt hereinbricht und uns erinnert, dass das Vorfindliche nicht alles ist, dass ein Bewusstsein sich in mehreren Zeitebenen bewegt und der Schmerz und das Schreckliche auch dann vorhanden sind, denn man sie nicht unmittelbar spürt. Zugleich scheinen diese Gedichte eine Reise zu sein, die tief ins Biographische führt und jeden Ort nach all dem abklopft, was gewesen ist: Aus einem oft grauen, faden Alltag hinaus in etwas, das noch wesentlich unangenehmer ist. Alle Wege führen in eine Richtung, und die Suche nach der Erlösung scheitert stets an der nackten Realität, die uns nicht ruhen lässt.
Himmel und Erde, Kriminalroman
In Himmel und Erde spinnen sich alle Storyfäden um die Wirtin Ida Waschinsky und ihr Lokal „Zur alten Schleuse“. Hier fängt die Geschichte an und, im weitesten Sinne, endet sie auch hier. Ida und ihr alter Hof am Rande der Münsteraner Schleusen bilden den nicht nur kulinarischen Rahmen dieses Genuss-Krimis. Und ein Genuss ist dieser Kriminalroman, so viel sei vorab verraten. Nicht nur wegen der Gerichte, die Ida ihren Gästen vorsetzt – wäre ich eine Köchin, ich wäre versucht, dass eine oder andere Gericht nach zu kochen, so aber muss ich wohl warten, bis mir eine Ida begegnet. Nein, vor allem die genaue Figurenzeichnung und das Geschick der Autorin, verschiedene Handlungsstränge miteinander zu verweben und zu einem nachvollziehbaren und glaubwürdigen Ende zu führen machen den eigentlichen Lesegenuss dieses Kriminalromans aus.
Einige Zeit nach dem Tod ihres Mannes verkauft Ida Waschinsky das gutgehende, gemeinsam geführte Restaurant in Düsseldorf und kauft vom Erlös den alten Hof im Münsterland. Ida wagt einen Neuanfang. Neues Restaurant, neues Liebesglück. Henning Simonsberg ist der neue Mann an Idas Seite. Auch er verlor seine Familie an den Tod – Verkehrsunfall, bei dem Frau und Tochter ums Leben kamen – und von Beruf Ermittler der Soko Europort in Rotterdam. Häufig wird er als Ermittler eingesetzt, wenn sich ein Fall als grenzüberschreitend erweist. So auch in diesem Fall.
Obwohl der Mord im Münsterland geschah, genaugenommen wurde die Leiche in Idas Restaurant abgesetzt, stellte sich schnell heraus, dass der Ermordete Hanns Boleda, einer von Idas Lieblingsstammgästen, der lettischen Geheimpolizei angehörte. Das ruft, sehr zum Ärger der taffen, ein wenig frustrierten, dem Alkohol zugeneigten und für diesen Fall zuständigen Hauptkommissarin Katharina Müller, eben diesen Sonderermittler Simonsberg auf den Plan. Allein die Art, mit der beide Ermittler an ihren Job herangehen, was sie denken, wie sie sich den Fall erarbeiten und dabei Strukturen und Hierarchien beachten oder umgehen, miteinander und zeitweise gegeneinander arbeiten, macht diesen Roman lesenswert.
Als die Spurensicherung in Idas Kräutergarten auch noch eine Frauenhand findet, scheinen für Kommissarin Müller erst einmal alle Indizien auf Ida als mögliche Täterin zu verweisen. Doch bald muss auch sie eingestehen, dass es in diesem Fall um weit mehr geht. Da gibt es das verwirrende Intrigenspiel der Kritikerin Harriet Manier, die um jeden Preis erreichen möchte, dass die Tafelrunde sich künftig im Lokal ihrer Tochter und nicht in Idas Alter Scheune trifft. Die Tafelrunde ist ein monatliches Treffen westfälischer Köche, Kritiker und Feinschmeckerinnen, allein die Wahl des Ortes für ihre Treffen adelt die Küche dieses Restaurants. In diesem Falle also Ida Waschinskys „Zur alten Scheune“.
Da gibt es die 6 Fotobücher des ermordeten Hanns Boleda im Tresor seiner Vermieterin. Sechs Alben mit akkurat eingeklebten Fotos von Deportationen und Erschießungen während des letzten großen Krieges. Aber da gibt es auch noch die Mutter von Hanns Boleda, die alte Frau Bockmann. Überlebende des Lagers Riga, die nach dem Krieg Mann und Sohn verließ und in Deutschland eine andere Familie gründete. Seit Hanns in Deutschland lebte, traf sie sich jeden ersten Dienstag im Monat mit ihm und übergab ihm 500 €. Nicht zuletzt weisen alle Spuren zu Leo Klein, einem Weißrussen, auch bekannt unter dem Namen Askana Giro. Dieser Name wiederum könnte der Deckname für verschiedene Kriminelle sein. Sicher ist jedoch, dass mit Askana Giro der Handel mit minderjährigen Mädchen und illegalem Kaviar in Verbindung gebracht wird. Europort ist er bekannt als Geschäftsmann und Killer. Und eben dieser Leo Klein, der wahrscheinlich Askana Giro ist, arbeitete in den 14 Tagen vor Hanns Boledas Ermordung in Ida Waschinskys Restaurant als Aushilfe.
In J.M. Walthers Kriminalroman geht es um viel. Es geht um Menschen- Organ und Kaviarhandel. Es geht um einen ermordeten lettischen Geheimpolizisten und dessen Familie, es geht um einen ermordeten Koch, den Ehrgeiz einer Mutter, einen abgehackten Schafskopf und einen geständigen Killer, der aus Liebe sein Leben ändern möchte. Daneben geht es um Niedertracht und Verrat, Desillusionierung und Müdigkeit, aber eben auch um menschliche Größe, Liebe und die heilende Wirkung von gutem Essen. Die Autorin zeigt in diesem Roman einmal mehr, wie schmal der Grat zwischen gut und böse ist. Sie zeigt, dass es immer wieder eine ganz persönliche und bewusste Entscheidung ist, gut sein zu wollen, so wie die Ida im Roman sich dafür entscheidet.
Auch mit diesem Kriminalroman zeigt die Autorin J. Monika Walther einmal mehr, dass sie sehr genau hinschaut und die emotionalen Antreiber menschlichen Lebens in vielen Facetten erkennt und beschreibt. Dabei bleibt sie immer wohlwollend und denunziert auch die unangenehmeren Charaktere nicht. Mit teilweiser Sprachkargheit erzeugt J.M. Walther einen so untergründigen Humor und in ihren Handlungsweisen so nachvollziehbare Charaktere, dass ich mich sehr an die Charaktere einer anderen von mir sehr geschätzten Krimiautorin – Fred Vargas – erinnert fühle. Die Kombination aus lebendigen, genau gezeichneten und eigenwilligen Figuren und die sich aus diesen Figuren heraus entwickelnden Handlungsstränge, dies vor allem macht für mich die Stärke der Romane der Autorin J.M. Walther aus.
Für Krimifans und alle, die gut erzählte Geschichten von starken Charakteren mögen: unbedingt lesen!
J. Monika Walther: Himmel und Erde. Kriminalroman. Ein Genuss-Krimi. 176 Seiten, KSB-Media Verlag, 10,50 €
Abrisse im Viertel
J. Monika Walther: Abrisse im Viertel. Gedichte 2010-2015
Fotografien: Henning Berkefeld
Rezension von Sylvia Tornau
„Die Seelen im Ganzen geteilt
fallen die Sonnenflecken schwarz
auf Gesichter Wände es geht
um Welt und die Wirklichkeit.“ (Drei Seiten der Medaille, S.31)
Ich verstehe nicht alles, was die Autorin mir mit ihren Texten sagt, aber immer, wenn ich mich einlasse auf ihre Worte, ihre Sprachbilder, öffne ich mich dem Schmerz von Sehnsucht und Trauer. Ich werde berührt in meiner Seele und es strömt eine Lebendigkeit jenseits von Funktionieren und Abarbeiten in mich ein. Brachial bahnt sich da mittels Waltherscher Worte Lebenszartheit mit schneidender Kälte den Weg in nicht wahrgenommene, vom Alltag überlagerte Regionen meines Seins. Lasse ich mich ein, lasse ich die Berührung zu, dann durchdringen diese wortgewebten Geschichtensplitter dieser Gedichte und sie wärmen. In all der entstehenden Einsamkeit schafft es die Autorin Verbindung herzustellen, von Seele zu Seele. Sie konfrontiert die Leserin mit kleinsten gemeinsamen Nenner des Seins: Wir alle sind im Grunde einsam und das verbindet uns.
„…Was in mir denkt ist ohne Heimat
Wer fragt nach dem OrtWenn Fluchten und Mauern
Die Wege versperren…“ (Lebenszimmer, S. 55)
J. Monika Walthers Gedichte sind eine Einladung zu Wachsamkeit, zu Liebe, zum reisenden Blick auf Gewohntes, Eigenes, Fremdes. Sie sind eine Einladung. Beim Lesen bin ich plötzlich zu Hause im Unbehausten, lehne mich zurück und fühle. Was war, was ist, was mag noch kommen. Da ist nichts geradliniges, weder im weiß, grau, schwarz und schon gar nicht im bunt. Das ist nichts Einfaches
„…Ein Mann entzündet
sein Herz mit einem glitzernden
Feuerzeug und brennt so lichterloh
dass er Ja sagt…“ (Die Tränen der Fotografin, S. 105)
Eines überlagert das Andere und das wird wieder überlagert von etwas Neuem, aus dem Alten geboren. Geradlinig ist bei dieser Autorin nur der Schmerz, der alte und der neue und der geht Hand in Hand mit gelebter Lebenswachheit. Mit ihren Gedichten klopft die Autorin ans Eingemachte und weckt damit die schlafende Neugier und die verborgene Leidenschaft fürs Sein.
Die durchweg in Sepia gehaltenen Fotografien von Henning Berkefeld sind weit mehr als Illustrationen. Sie sind Einladungen zum genauer hinschauen, Abbildungen einer bestimmten Idee von Gewesenem. Dennoch scheinen sie sehr bewusst ausgewählt für diesen Gedichtband. Sie korrelieren gut mit den Gedichten, denn auch sie singen das Lied des Lebens, geprägt von Abschied, Sehnsucht, Vertrautem und Fremden. Sie bringen etwas zum Klingen, was vordergründig nicht auf ihnen zu sehen ist. Vielleicht hat die Autorin beim folgenden Gedicht auch an diese Bilder gedacht.
„Getrennt im Himmel
Ist ewig wahr
Die Ruhe der Dinge
Beschrieben
Auf der Rückseite
Der Bilder“ (Unentgeltlich, S. 185)
Meine Empfehlung: Unbedingt Lesens- und Betrachtenswert.
J. Monika Walther: Abrisse im Viertel. Gedichte 2010-2015; Fotografien: Henning Berkefeld; Geest-Verlag, 12,50 €, 218 Seiten
Das Gewicht der Seele
Goldbroiler
Pressefotos
Hier finden Sie einige Pressefotos von J. Monika Walther zum Herunterladen.