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Was mache ich heute?
Mai 2003
Viele Iraker sind nie im Paradies angekommen, obwohl der Diktator Saddam, die Baathpartei und die heiligen Fedajin-Kämpfer dem irakischen Volk doch genau dieses auf Erden bereiten wollten: Drei oder auch fünf Millionen Iraker sind während der fünfunddreißig Jahre Diktatur verschwunden, ermordet worden oder in den Gefängnissen gestorben. Kaum eine Regung, eine Aktivität, ein Gedanke war nicht verboten, galt nicht als regimefeindlich. Im Irak verschwanden die Menschen, die Angehörigen wurden angelogen. Jetzt werden Massengräber gefunden, unterirdische Gefängnisse durchsucht, jetzt werden im Büro der Organisation für politische Häftlinge in Bagdad Akten gesichtet und die Namen der Verhafteten gesammelt und auf Listen getippt, damit die Angehörigen nach den Opfern suchen können. Saddam Hussein und seine Kämpfer begingen den Massenmord mit System: Zuerst waren die Kommunisten an der Reihe, dann die Kurden, dann die Schiiten, dann wieder die Kurden, dann die Aktivisten der islamitischen Partei al-Dawa, dann die noch lebenden Kommunisten, dann wieder Schiiten. Zu jeder Zeit bekämpfte diese Diktatur die religiöse und ethnische Vielfalt des Landes. Wer den Spuren und Zeugnissen des Regimes folgt, wird auf diese Frage stoßen müssen: Warum interessierten sich nicht im Westen und nicht im Osten die Politiker für dieses Land, denn das jahrzehntelange Morden war in jeder Staatskanzlei bekannt? Was muss geschehen, damit Diktaturen als Diktaturen beschrieben werden? Oder sind wir hierzulande doch immer zu sehr mit uns beschäftigt?
Dass Aids Abermillionen Menschen tötet, dass Afrika von dieser Krankheit fast ruiniert wird, Generationen wegsterben, das wird gewusst, aber es sorgt keinen mehr, obwohl diese Krankheit auf der ganzen Welt und auch in Europa virulent ist: wir und die Medien stürzen uns auf Sars, obwohl in Europa bisher daran Null Menschen gestorben sind. Wir nehmen teil an der großen Katastrophen-Show: Angst ersetzt Verantwortung; die Öffentlichkeit labt sich an den Weltuntergangsgesängen.
"Deutschland", sagte Angelika Merkel, "hat einen Knall". Sie hat recht. Deutschland liebt die Schwarzmalerei, wir blühen geradezu auf in den echten und eingebildeten Krisen. Komplexere Gedankengänge über uns und das Land und die Realitäten werden gemieden, dafür stehen ja die 30-Sekunden-Statements der Politiker im Fernsehen und vor allem steht dafür Sabine Christiansen und ihre jeweilige hysterische Rasselbande.
Hannah Ahrendt hatte die Idee, dass die Bürgergesellschaft sich bei der Verhandlung der ernsten Dinge selbst als Fundament eines freien Staates erlebt und nicht dass die Bürger durch immer neue Zusammenbruchszenarien hetzen.
Was ich tue? Über den verführten Blick nachdenken. Die niederländischen Maler wie Vermeer zeigen wie sich in den unschuldigen häuslichen Tätigkeiten des Musizierens, Briefschreibens, des Kochens eine Phänomenologie der Leidenschaften verbirgt. Die Männer sind Durchreisende, lehnen an den Türen; die heimische Bühne gehört der Frau: das Thema Ordnung und Unordnung ist allgegenwärtig. Es gilt die Balance zu halten. Zwischen der Weite und der Enge. Balance halten. Das zu tun, ist schwer. Oder?
Als nächstes schreibe ich ein Stück über einen fliegenden alten Mann und eines über Adolf, ja eben jenen Adolf und Ludwig Wittgenstein.
J.