Che Faro 2024
Che Faro 2023
Che Faro 2022
Che Faro 2021
Che Faro 2020
Che Faro 2019
Che Faro 2018
Che Faro 2017
Che Faro 2016
Che Faro 2015
Che Faro 2014
Che Faro 2013
Che Faro 2012
Che Faro 2011
Che Faro 2010
Che Faro 2009
Che Faro 2008
Che Faro 2007
Che Faro 2006
Che Faro 2005
Che Faro 2004
Che Faro 2003
Che Faro 2002
Che Faro
Was mache ich heute?
Oktober 2010
Che farò senza Euridice, che farò senza il mio ben', dove andrò...
Aus einer jüdisch-protestanischen Verwandtschaft komme ich. Weil die einen jüdisch und die andere protestantisch waren und weil immer wieder jüdisch- protestantisch geheiratet wurde. Geschichte Geschichte. Vermengt wurde da nichts. Viele Bräuche und Traditionen standen nebeneinander und wurden genossen.
Und - ich mag die schönen katholischen Kirchen, ich schrieb erst Kirschen, ja sie sind pralle saftige Kirchen, die Marien, die Heiligen, der Geruch, die Löwen, die Bilder, kein armer geschändeter protestantischer Christus. Keine Gnade, die erarbeitet werden muss, Ablass, Beichten, die Nöte zur Jungfrau tragen oder einem passenden Heiligen. Ich mag viele der katholischen Kirchen, wenn der Geruch des Weihrauchs nicht zu schwer und süß über allem liegt. Ich mag auch protestantische Holzkirchen, in ihren meeresblauen Farben, Holzschnitzereien. Holzaltäre. Viel Christus und Heiliger Geist. Ich mag manche Synagogen. Gottes Auge. Das Lesen und Singen. Die Traditionen. Zusammensein. Was ich weder mag noch verstehe ist die neue deutsche Erfindung der jüdisch-christlichen Tradition, die alle anderen Religionen und den Islam aus der Geschichte herausnimmt. Hier das christlich-jüdische Abendland und vor der Tür der barbarische Islam. Fertig ist der Kampfplatz. Der Islam – als Religion mit kriegerisch-arabischen Ursprüngen.
Die öffentliche Debatte kennt nur die Wörter Terror, Ehrenmord, Kopftuch und Koran. Und der drohende Untergang „unserer“ Kultur, also jener christlich-jüdischen. Komisch, war da nicht millionenfacher Mord und Ausrottung vor kurzem, im Abendland? Was heute dem Islam widerfährt, geschah vor über hundert Jahren dem gesamten rabbinischen Judentum. Diejenigen, die heute das christlich-jüdische Abendland beschwören und die Diskussion moderieren, wissen nichts von den Grundlagen der Religionen und argumentieren mit einem sehr begrenzten Verständnis. Die christlich-jüdische Geschichte ist zudem vor allem eine Geschichte der Glaubenskriege, der Unterdrückung und des Antisemitismus, von Shoa. Eine grausige Geschichtsvergessenheit und ein dummer Pathos, bei der Bindestrichdiskussion gegen den Islam.
Die jüdisch-christliche Tradition ist eine Erfindung der europäischen Moderne – und der traumatisierten Deutschen. Die Juden haben keine Kreuzestheologie. Gelehrte haben immer wieder auch auf arabische Aufklärungstraditionen zurückgegriffen. Und was ist heute zu lesen: „Beim Islam handelt es sich um einen militanten Monotheismus, der seine Herkunft aus der Welt kriegerisch-arabischer Nomaden nicht verleugnen kann“ und – „sechs Millionen Muslime in der Bundesrepublik werfen Assimilations- und Integrationsprobleme auf.“ …..
So haben wir also vermeintliche sechs Millionen Feinde in deutschen Landen. Da existiert nicht die Fähigkeit, das Leben und Leiden der Anderen im Blick zu haben, im Anderen möglicherweise sich selbst zu begegnen. Offenheit zu leben, mit anderen, sich mit den Facetten des eigenen Ichs zu konfrontieren. Den Mut zu haben, dem Anderen sich zu nähern, mit ihm solidarisch oder ihm treu zu bleiben, auch wenn unser Wir verletzt ist oder wir uns bedroht fühlen.
Was wünsche ich mir? Nein, das sage ich nicht. Diesmal nicht. Und ich bitte um Nachsicht, wenn ich ein einziges Mal eine völlig unverständliche Äußerung hinschreibe: Je suis seule. Ein Zitat. Nicht mein Satz, verändert hat er doch viel.
Was tue ich heute: In 12 Aktenordnern der Autorinnenvereinigung wühlen, um Buchhaltungsunterlagen zu finden. Was werde ich tun? Neun Tage durch Polen, Litauen bis Riga und Ventspils fahren. Danach werde ich drei Wochen im International Writers and Translators House leben und schreiben.
Und: An den Rändern der Worte gibt es viel tun. In der Traumwäscherei und in der Broilerbar auch. Einen Dank an Mani Urbani, Linda Roos und Ulrike Bail.
Jay